25 Februar, 2009

Michel Foucault: Macht-Wissen

„Das Wort Wissen wird also gebraucht, um alle Erkenntnisverfahren und -wirkungen zu bezeichnen, die in einem bestimmten Moment und in einem bestimmten Gebiet akzeptabel sind. Und zweitens wird der Begriff Macht gebraucht, der viele einzelne, definierte Mechanismen abdeckt, die in der Lage scheinen, Verhalten oder Diskurse zu induzieren. Offensichtlich haben diese beiden Begriffe nur eine methodologische Funktion: mit ihnen sollen nicht allgemeine Wirklichkeitsprinzipien ausfindig gemacht werden, es soll gewissermaßen die Analysefront, es soll der relevante Elemententyp fixiert werden. Auf diese Weise soll vermieden werden, daß von vornherein die Perspektive der Legitimierung eingeführt wird – wie das die Begriffe Erkenntnis und Herrschaft nahelegen. Jene beiden Worte sollen auch in jedem Moment der Analyse einen bestimmten Inhalt, ein bestimmtes Wissenselement, einen bestimmten Machtmechanismus präzis bezeichnen können; niemals darf sich die Ansicht einschleichen, daß ein Wissen oder eine Macht existiert – oder gar das Wissen oder die Macht, welche selbst agieren würden. Wissen und Macht - das ist nur ein Analyseraster. Und dieser Raster ist nicht aus zwei einander Fremden Kategorien zusammengesetzt – dem Wissen einerseits und der Macht andererseits (wie die gerade gebrauchten Formulierungen nahelegten). Denn nichts kann als Wissenselement auftreten, wenn es nicht mit einem System eines bestimmten wissenschaftlichen Diskurses in einer bestimmten Epoche, und wenn es nicht andererseits, gerade weil es wissenschaftlich oder rational oder einfach plausibel ist, zu Nötigungen oder Anreizungen fähig ist. Umgekehrt kann auch nichts als Machtmechanismus funktionieren, wenn es sich nicht in Prozeduren und Mittel-Zweck-Beziehungen entfaltet, welche in Wissenssystemen fundiert sind. Es geht also nicht darum, zu beschreiben, was Wissen ist und was Macht ist und wie das eine das andere unterdrückt oder mißbraucht, sondern es geht darum, einen Nexus von Macht-Wissen zu charakterisieren, mit dem sich die Akzeptabilität eines Systems – sei es das System der Geisteskrankheit, der Strafjustiz, der Delinquenz, der Sexualität usw. - erfassen läßt.
[Michel Foucault: Was ist Kritik?]

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